Sprakforsvaret
   

Ein Edel-Ziegelstein

Rezension zu Max Behland, Walter Krämer, Reiner Pogarell (Hrsg.): Edelsteine. 107 Sternstunden deutscher Sprache vom Nibelungenlied bis Einstein, von Mozart bis Loriot. IFB-Verlag Deutsche Sprache GmbH, Paderborn 2014. 672 Seiten, 25:- €. ISBN 978-3-942409-31-5

 

Nach Meinung eines Lesers ist „dieses Buch selbst ein Edelstein“. Und was für einer! Den Stein zu schleifen brauchte es 50 Personen – ein Mammutunternehmen. Es glückte, weil die Herausgeber keinem strengen Schema folgten, die Textdeuter frisch fromm fröhlich frei zu Werke gingen und sich vom Humor manch eines Autors anstecken liessen. Selbst die „Sternstunden“ sind in einigen Fällen ironisch gemeint, Stunden verlöschender Sterne eben, in  denen die deutsche Sprache ächzt und knarrt, weil Bürokraten sie in der Mache haben. Das skurrilste Beispiel dafür ist wohl die Käseverordnung, erlassen 1986 vom Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten der Bundesrepublik Deutschland. Sie kam ins Buch, um zu zeigen, „zu welchen sprachlichen Arabesken deutscher Regelungsfanatismus fähig ist“ (S. 567). Textdeuter und Mitherausgeber Max Behland bleibt am Ende nur ein Goethe-Zitat: „Getretner Quark wird breit, nicht stark“ (S. 571).

 

„Wir erleben die deutsche Sprache in ihrer ganzen Pracht und Vielfalt“, heisst es im Klappentext, der nicht zuviel verspricht. Das Buch ist fürwahr ein gefundenes Fressen für Germanisten wie für Leser und Liebhaber des Deutschen im In- und Ausland. Sieht man mit den Augen des Deutschlehrers in Skandinavien auf die Textpräsentationen, bestechen jene, die unaufdringlich pädagogisch daherkommen und das Textverständnis von Deutschlernenden zu erleichtern suchen. Eine verständliche Sprache ist dafür Voraussetzung. Hervorragende Beispiele aus einem umfangreichen Fundus sind Myriam Grobes Erklärungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm (S. 249-255), Sascha Pogarells Einführung in Brehms Tierleben (S. 321-328), Walter Krämers Erläuterungen zu Marx´ und Engels´ „Manifest der Kommunistischen Partei“ (S. 296-300) und Götz Neunecks Würdigung Heisenbergscher Wissenschaftsprosa (S. 547-552). Erklärende Ausführungen wie diese machen neugierig auf weitere Werke der Autoren, wenn nicht gar ihrer OEuvres. Dagegen wird Grass´ Der Butt derartig allwissend (Grass persiflierend?) kommentiert, dass Leseverständnis und -spass auf der Strecke bleiben (S. 559-566). Den im Buch nicht vertretenen Böll als „vergleichsweise fade“ zu bezeichnen, der bei Örtlich betäubt offenbar „Pate gestanden“ und „eine nahezu sedative Wirkung entfaltet (hätte)“, halte ich für geschmacklos. Glücklicherweise bilden solcherart Fehltritte (im wahrsten Sinne des Wortes!) die Ausnahme.

 

Bleibt, aus den 107 Edelsteinen einige ans Licht zu holen, mit denen der Rezensent besonders liebäugelt. Dazu zählen Texte von Hölderlin, Heine, Storm, Rilke und ebenso gut gewählte wie besprochene Auszüge aus meinem Lieblingsroman, Joseph Roths Radetzkymarsch. Paukenschläge, noch dazu überraschende, sind „Der Beipackzettel zur ersten deutschen Antibabypille“, unter der Überschrift „Hauptsache: Nebenwirkung“ kongenial kommentiert von Wolf Schneider und Walter Krämer (S. 537-540), ebenso „Ein technischer Text wird Weltkulturerbe. Die Patentanmeldung des ersten Automobils“ – Ines Hoischen über Carl Friedrich Benz (S. 346-350). Josef Kraus über Nietzsche (S. 334-345) ist eine pädagogische Meisterleistung, Loriot (S. 601-611) Lachtränen erzeugender Genuss. Und Robert Gernhardts Gedicht Tief oder flach, aber Sinn – oder wie?, das mir „Edelsteine“ als Entdeckung bescherte, kommt bei uns zuhause an die Wohnzimmerwand.

 

Frank-Michael Kirsch

Rönninge (Schweden)